Aufruf eines Vaters an die Eltern und das Schulpersonal

Uns erreichte aus unserem Unterstützer:innenkreis dieser Aufruf eines Vaters an die Eltern und das Schulpersonal, der unter anderem erklärt, warum die Kinder nun wieder in die Schulen gehen sollen, obwohl dort noch nicht einmal Lüftungsanlagen installiert wurden. Wir dokumentieren den Aufruf gerne:

Liebe Eltern, liebes Schulpersonal,

bereits am 22. Februar wird der Präsenzunterricht in der Schule wieder beginnen – mitten in der sogenannten zweiten (diese ist noch nicht vorüber) und kurz vor der dritten Welle, die dann vermutlich von einer nochmals ansteckenderen Mutation des Coronavirus ausgelöst werden wird. Während aber alle nicht notwendigen Zusammenkünfte von Menschen vermieden werden: das kulturelle Leben liegt komplett lahm, unsere Kontakte in der Freizeit sind auf ein Minimum reduziert, die meisten Geschäfte sind geschlossen, sollen unsere Kinder in Lehranstalten gehen, deren einziges Hygienekonzept Wechselunterricht, das Masketragen bloß außerhalb des Klassenzimmers und Händewaschen ist. Man stutzt: Geschäfte & Restaurants, die Lüftungsanalgen nachgerüstet haben, dürfen nicht öffnen, Altenheime und manche Arbeitsstelle haben verpflichtende Schnelltests für Besucher*innen eingeführt, aber Kinder, deren Hygieneverhalten – egal wie gut man sie belehrt hat – doch oft fragwürdig bleibt und die einen unbedarfteren körperlichen Kontakt pflegen als Erwachsene, sollen fast ganz ohne weitere Maßnahmen wieder zurück in den Schulbetrieb. Das Risiko einer Infektion mit Covid-19 und der neuen hierdurch ausgelösten Kinderkrankheit MIS-C, woran Kinder sterben können, so leichtfertig einzugehen, scheint offenbar billig. (Zwar ist die Todesrate von MIS-C äußerst gering – aber man will sich doch nicht darauf einlassen, den Tod auch einer geringen Zahl von Kindern, die eben keine Zahlen sondern Kinder sind, hinzunehmen.)  Welche Maßnahmen zur Eindämmung und daher Kontaktbeschränkungen der Pandemie als notwendig erscheinen, hängt offenbar an anderen Prioritäten als nur am Gesundheitsschutz.

Des Rätsels Lösung, welche Maßnahmen in dieser Gesellschaft notwendig sind und deshalb priorisiert werden, ist das Überleben der sogenannten gesellschaftlich unentbehrlichen Wirtschaftssektoren. Diese Einsicht führt zu der Erkenntnis, dass das Kindeswohl nur ein Beifang ganz anderer, für diese Gesellschaft wesentlicher Handlungsmaximen ist: Denn wirtschaftlich notwendig ist die Gesundheit unserer Kinder, wie aus der obigen Diskrepanz sichtbar, nur in geringem Maße. Auch die körperliche Unversehrtheit der Lehrerinnen und Lehrer sowie der Hortnerinnen und Hortner, deren Impfung für August anberaumt ist (der Patentschutz verlangsamt die Produktion des Impfstoffs immens), scheint entbehrlich. Der Pflege- und Gesundheitsbetrieb bspw., der zu erheblichen Teilen privatwirtschaftlich organisiert ist und in dem an allen möglichen Ecken und Kanten gespart wurde, woraus sich letztlich auch die geringe Anzahl an Personal und Intensivbetten ableiten lässt, scheint ebenfalls nicht wirtschaftlich lebensnotwendig. Wirtschaftlich notwendig ist in diesem Sinne ebenso nicht die Grundversorgung mit qualitativ hochwertigen Lebensmitteln, denn einerseits müssen wir seit eh und je Schund essen und trinken, andererseits ist die Produktion von Lebensmitteln derart hoch, dass täglich Tonnen hiervon in gut verschlossenen Müllcontainern hinterm REWE landen – dort also, wo diese Abfallprodukte (Billigfleisch bspw.) sowieso hingehören. Wirtschaftlich notwendig sind also gerade nicht die Unternehmungen, die eine für alle erreichbare und gute Grundversorgung liefern, sondern vielmehr diejenigen Betriebe, die in hohem Maße profitabel wirtschaften. Dazu gehören in Deutschland etwa die Autoindustrie (1. Platz mit ca. 438 Milliarden Euro Umsatz), der Maschinenbau (2.) und die Elektrobranche (5.), aber auch die chemisch-pharmazeutische Industrie (3.) und die Lebensmittelindustrie (4. mit 185 Milliarden Euro Umsatz). Man sieht: der geringere Teil der Produktion fällt auf Branchen, die nötig sind (Medikamente & Lebensmittel), um gut durch die Pandemie zu kommen. Die Produktion ganz bestimmter Produkte zeigt auch: Der Profit hat relativ wenig damit zu tun, ob es uns und unseren Kindern gut geht, denn der Profit bezeichnet lediglich, ob etwas gekauft wird, und nicht, ob dieses etwas auch der Produktion wert war: Panzer mögen beispielsweise ein profitables Geschäft sein, sind aber der Produktion nicht wert. So sind auch Autos ein profitables Geschäft, aber ihre Produktion ist gerade nicht notwendig, wenn man zwischen diesen und der Gesundheit entscheiden muss. Maschinenteile kommen vor allem in der Industrie zum Einsatz – aber auch diese sind sicher nicht in dem Maße notwendig. Die Gastronomie hat gerade mal einen Umsatz von ca. 59 Milliarden Euro jährlich, ist also mickrig im Gegensatz zur Autoindustrie, weshalb aber klar wird, warum es so leicht fällt, dieser ein Betriebsverbot aufzuerlegen, obwohl bereits installierte Belüftungsanlagen diesen etwas sicherer gemacht haben. In vielen Fabrik- und Bürogebäuden werden solche Anlagen schmerzlich vermisst. Anstelle der Produktion von Kleinwagen, wäre jetzt wichtig, die Produktion von Lüftungsanlagen für Schulen und deren Montage, sowie die Produktion von Schnelltests, FFP2-Masken und allem, was nicht aus dem Gesichtspunkt des Profits, sondern aus dem unseres individuellen Lebens nötig erscheint. Es stellt sich gerade jedoch umgekehrt dar: Hygieneartikel sind notwendig, aber kein profitables Geschäft, entweder weil deren Produktionszentren nicht in Deutschland liegen, daher keinen Teil des Bruttoinlandsprodukts ausmachen, oder weil die gesamte Ausstattung von Lüftungsanlagen an allen Schulen in Deutschland insgesamt nicht den Profit bringen würden, den man benötigen würde, um das dadurch in der Staatskasse entstandene Defizit auszugleichen, dass in dieser zweifelsohne entstehen würde, da Schulen ja staatliche Betriebe sind.

Mit anderen Worten: Wenn unsere Kinder nun wieder in die Schule gehen sollen, dann wird diese Maßnahme nicht ergriffen, um ihre physische und psychische Gesundheit und die ihrer Angehörigen zu schützen (man kann nur raten, wie viele Kinder schon einen Elternteil durch Covid-19 verloren haben), sondern unsere Kinder müssen wieder und v.a. unter diesen absolut menschenunwürdigen Bedingung zur Schule gehen, weil ihre Eltern für den Profit in den „gesellschaftlich-lebenswichtigen“ Betrieben (nicht nur in Kurzarbeit) malochen sollen. Man sieht, Profit und Schutz des Menschenlebens fallen hier deutlich auseinander. Der Humanismus der Politiker und Politikerinnen, die das seelische und körperliche Leid unserer Kinder bejammern und deshalb Schulöffnungen fordern, mag subjektiv ehrlich sein, ist aber nicht der objektive Grund für die Rückkehr zum eingeschränkten Schulbetrieb – ansonsten wären die Schulen hygienisch auf den allerneusten Stand gebracht worden, ansonsten wären auch alle für ein halbwegs gutes Leben nicht nötigen Wirtschaftsunternehmen bereits geschlossen (mit einigen Entbehrungen freilich – aber die erleiden wir auch im Normalbetreib und ohne Pandemie).

Da wir diejenigen sind, die entweder aktuell im Betrieb oder im home office arbeiten, oder potentiell Arbeitende, also Arbeitssuchende sind, sind wir auch diejenigen, die diesen verrückten Verhältnissen etwas entgegensetzen können. Diesen Angelpunkt nimmt die Kampagne „ZeroCovid“ zum Anlass, sich zu organisieren und wenigstens einige Minimalforderungen durchzusetzen, wie etwa die Schließung von bestimmten Betrieben bei vollem Lohnausgleich, die kostenlose Bereitstellung von technischen Geräten für alle Kinder im Heimunterricht usw., wodurch bspw. das Aufwachsen unserer Kinder in der Freizeit immens erleichtert würde, weil wieder mehr Kontakt in der Freizeit möglich wäre. Hier wird versucht Druck an allen Hebeln dieser Gesellschaft aufzubauen, und das heißt vor allem in der Wirtschaft. Bei „ZeroCovid“ kämpfen gemeinsam Eltern, Angestellte der Schule, Gewerkschaften, Wissenschaftler, Arbeitslos usw. für bessere Bedingungen in allen möglichen Lebensbereichen. Ich rufe euch deshalb auf, für unser aller Gesundheit in eine gemeinsame Diskussion zu kommen. 

Leitet diesen Brief gerne an alle Eltern, Lehrer und Lehrerinnen sowie Hortner und Hortnerinnen weiter. 

Mit solidarischen Grüßen!

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