Deutschland gegen die Welt

Seit neun Monaten blockiert Deutschland die Patentfreigabe in der Welthandelsorganisation. Foto von der Protestaktion gemeinsam mit CampAct und WeMove Europe vom 20. Juli 2021

4 Millionen Menschen sind der Corona-Pandemie schon zum Opfer gefallen, so die berichteten Zahlen, wahrscheinlich sind es über 8 Millionen. Hochwirksamen und sicheren Impfstoff hat die Wissenschaft in kurzer Zeit hervorgebracht, der uns beste Voraussetzungen geben kann, das Sterben zu beenden, die Pandemie einzudämmen und ihren Wiederkehr zu verhindern. Doch längst nicht genügend Menschen auf der Welt kommt der Impfstoff bislang zu Gute – das Sterben geht weiter oder fängt vielerorts sogar erst jetzt richtig an.

Um die weltweite Versorgung möglichst schnell zu verbessern, haben Indien und Südafrika bereits vor 9 Monaten den Vorschlag in die Welthandelsorganisation eingebracht, die Patente auf Impfstoffe, Tests, Masken, Medikamente etc. auszusetzen. 107 Länder dieser Welt, Wissenschaftler_innen, Nobelpreisträger_innen, Hilfsorganisationen, Kirchen, das EU-Parlament, soziale Bewegungen im Norden wie im Süden, ja sogar die USA und Frankreich stehen hinter der Patentfreigabe – doch die EU-Kommission und allen voran die deutsche Bundesregierung blockieren. Heute tagt erneut die Welthandelsorganisation, in einer Woche wäre eine Entscheidung möglich, diese Chance darf nicht ein weiteres Mal aufgrund des Widerstands der Bundesregierung vertan werden! Es liegt jetzt an uns, ob die Errungenschaften der Wissenschaft für die weltweite Beendigung der Pandemie und zum Wohle der gesamten Menschheit eingesetzt werden oder weiterhin vorrangig nur für den Profit dienstbar gemacht werden!

Wir klagen an: Die Bundesregierung verhindert, was die Menschen dieser Welt jetzt brauchen!

Die Impfungen sind der Weg aus der Pandemie, sagt die Bundesregierung – da klagt die Welt, da klagen wir an: Wie viel zehntausend sind in Deutschland schon gestorben, weil es nur noch hieß: Durchhalten bis zur Impfung, statt die Pandemie zu bekämpfen mit allem, was es braucht? Wie viele Mutanten hat das Laufenlassen schon geschaffen, die nicht nur uns jetzt umso härter treffen und den Impferfolg gefährden? Versprach die Impfung, bei der Eindämmung zu helfen und die Rückkehr des Virus zu verhindern, scheint es gar in Deutschland mit dieser Hoffnung schon dahin.

Niemand ist sicher, bis nicht alle sicher sind, sagt auch die Bundesregierung – da klagt die Welt, da klagen wir an: dieses Europa, das aus der Welt ausbricht und Sicherheit für sich alleine kauft, macht alle unsicher. Uns machens die Impfungen mit Delta leichter, die in Thailand, Mosambik, Vietnam jetzt fehlen. Wer auch mit beschränkten Mitteln zuvor noch gegen jede Welle ankam, hat’s härter mit den Varianten jetzt als je zuvor.

Wir in der EU stellen genug Impfstoffe her, um die Welt mit unseren Exporten zu versorgen, sagt die Bundesregierung – da klagt die Welt, da klagen wir an: Ja, exportiert wird, doch an die nur, die am meisten zahlen! Ja, produziert wird, doch nur an wenigen Orten, zu langsam für uns alle, obs viel mehr als 6 Mrd. Dosen mit Zulassung gibt in diesem Jahr, es ist nicht klar, noch das nächste Jahr über wird es zu wenig für alle sein! Und schon jetzt werden viele nur mit Impfstoffen versorgt, die die Übertragungen kaum oder zumindest bei manchen Varianten kaum verhindern!

Wir in der EU tragen von Anfang an das COVAX-Welt-Impfprogramm. Kein noch so armes Land muss fürchten, keine Dosen zu bekommen, sie werden fair verteilt, sagt die Bundesregierung – da klagt die Welt, da klagen wir an: Die besten Deals für die schnellsten Lieferungen haben sich die reichen Länder längst mit den Unternehmen direkt gesichert. Für Euch gibt es Almosen, 20% Durchimpfung zum Ende des Jahres, sagt Europa der ärmeren Hälfte der Welt. Für etwas mehr als 1% kamen diese Almosen bis heute an.

Wir in der EU mit unserer älteren Bevölkerung brauchen die Impfdosen am dringendsten, sagt der Bundespräsident – da klagt die Welt, da klagen wir an: Längst hätte allen Über-50-Jährigen auf der Welt ein Impfangebot gemacht werden können. Ob Namibia, Indonesien, Thailand, Tunesien, Ukraine oder Afghanistan: ungeschützt sterben die alten Menschen in den neuen Wellen jetzt, denn an ihre Länder wurde nicht geliefert. Hunderte Millionen alte Menschen sind jetzt in leicht vermeidbarer Gefahr!

Und nachdem die Weltgemeinschaft hier schon, an Europa wie den USA gescheitert ist – da soll um jeden Preis auch noch an den Patenten festgehalten werden? Versucht ein Land des Südens, die Versorgung in die eigne Hand zu nehmen, dann heißts, das dürft Ihr nicht – es gelten die Patente?

Die Patente sind nicht das Problem, sagt die Bundesregierung – da klagt die Welt, da klagen wir an: Die Rechtsstreitigkeiten, die Behinderung der Produktion von Masken, Beatmugsgeräten, und der Medikamente – die unbezahlbar für das Gros der Welt, bessere Chancen noch den schwerst Erkrankten geben – sie sind längst da! Und seit neun Monaten tut Deutschland alles, dass es mit der Blockade weiter geht!

Reden wir lieber über vereinfachte Zwangslizenzen, sagt die EU-Kommission, seit die USA zur Vernunft gekommen sind – da klagt die Welt, da klagen wir an: Wir brauchen nicht um noch mehr Monate verzögerte Verhandlung, wir brauchen jetzt den Schritt, der weltweit und mit einem Schlag für die Zeit der Pandemie die Hindernisse fallen lässt, die das geistige Eigentum uns eingebracht hat. Weiter verhandeln lässt sich hinterher.

Der globale Süden hat doch gar nicht das Know-How, Impfstoffe und andere Gesundheitsgüter herzustellen, sagt die Bundesregierung – da klagt die Welt, da klagen wir an: Noch immer diese alte arrogante Leier, wo Thailand den mRNA-Impfstoff gar schon selbst entwickelt? Wo indische Institute sich schon lang erfolglos um Lizenz bemühen?
Und wo das Wissen gegen Covid fehlt – warum denn? Es wird nicht geteilt! Seit 14 Monaten keine Unterstützung von der deutschen Industrie und der deutschen Regierung fürs Technologietransferprogramm der WHO!
Doch wo das Wissen schon einmal ist, darf seinem Wirken das Eigentum kein Hindernis mehr sein – nicht bei der Entwicklung, nicht bei der Produktion!

Genug geklagt, jetzt fordern wir!

Wir wollen doch auch dass alle geimpft werden, sagt die Bundesregierung – da fordern wir, mit Blick auf die Welt: Dann fangt mit den Risikogruppen, den Älteren, den Immungeschwächten, den HIV-Patient_innen, den Tuberkulose-Lungenkranken, vor allem in ärmeren Ländern an, um so wirksam wie möglich, der Pandemie zumindest ein Stück weit den Schrecken des Todes zu nehmen. Hunderttausende Menschenleben in den nächsten Monaten kann jetzt die Impfstoff-Umverteilung retten!

Unsere Pharmaunternehmen tun bereits alles, um Kooperationen voranzutreiben, sagen Bundesregierung und die Lobby-Gruppen – da fordern wir, mit Blick auf die Welt: BioNTech muss sich dem mRNA-Impfstoff-Schulungszentrum der WHO in Südafrika anschließen. Möglichst schnell und effizient kann allen interessierten Herstellern das Know-How für den schon zugelassenen BioNTech-Impfstoff weitergegeben werden – Drew Weissman, Miterfinder der von BioNTech genutzen Technologie und auch Unterstützer des thailändischen mRNA-Forschungsprogramms, ist übrigens schon mit an Bord.

Wir wollen den Pharma-Standort Deutschland für die Zukunft durch einen technologischen Vorteil stärken, sagt die Bundesregierung – da fordern wir, mit Blick auf die Welt: Wir wollen alle Standorte stärken, wir brauchen alle infrage kommenden Produktionsstandorte, um jetzt so schnell wie möglich genügend Impfstoffe. Keine 10 Milliarden Dollar würde es kosten, binnen eines Jahres 8 Milliarden zusätzliche BioNTech-Dosen herzustellen und der Bedarf für den hochwirksamen, nebenwirkungsarmen und leicht an Mutationen anpassbaren mRNA-Impfstoff wäre gedeckt.
Wir wollen auch für die Zukunft – gegen künftige Pandemien, gegen Grippe und Malaria, Tuberkulose, HIV und Krebs – eine globale Produktionsinfrastruktur, nicht nur an einem Standort, sondern an vielen, sodass sich in der Krise jede Weltregion eigenständig versorgen kann.

Wir wollen Innovation sichern, auch für künftige Pandemien, sagt die Bundesregierung – da fordern wir, mit Blick auf die Welt: Es darf nicht mehr von der Patentierbarkeit und der Anzahl zahlungskräftiger Patienten in reichen Ländern abhängen, ob medizinische Entdeckungen auch zu einem breit verfügbaren Produkt entwickelt werden. Kaum ein Unternehmen hat sich lange Zeit für die mRNA-Technologie interessiert, sie wurde durch öffentliche Gelder ermöglicht. Der Zugang zu den Früchten dieser Forschung darf nicht am Wunsch nach dem Monopolprofit scheitern. Der Impfstoff gehört den Menschen.

Wir wollen eine Rückkehr zur Normalität, sagt die Bundesregierung – da fordern wir, mit Blick auf die Welt: Wir wollen ein Ende der Pandemie! Handeln lieber gestern als heute! Patentfreigabe jetzt!

Rede gehalten vor dem Kanzleramt am 20. Juli 2021

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