#Schichtgeschichten 12 #CovidAtWork – Einzelhandel

Auch wenn dieser Tage viel über mögliche Lockerungen und drohende Geschäftsschließungen im Einzelhandel berichtet wird, möchten wir den Blick auf etwas anderes richten, nämlich auf die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel während der Pandemie. Wir haben viele #CovidAtWork Berichte aus dem Einzelhandel zugesandt bekommen. Ähnlich wie in den Schulen fühlen sich die Angestellten nicht geschützt bei der Arbeit. Ein Angestellter einer Baumarkt-Kette berichtet sogar von mehreren bekannten Infektionen mit schweren Verläufen am Arbeitsplatz:

Ich arbeite für eine große Baumarkt-Kette. Meine Erfahrung mit dem Covid-Jahr auf Arbeit: Abstände werden weder von KundInnen, noch von KollegInnen eingehalten. OP-Masken (billig-Import) gibt’s eine pro 8-Stunden-Schicht, manche MitarbeiterInnen tragen aber auch tagelang dieselbe. Desinfektionsmittelspender werden zu einem Drittel mit Reinigungsbenzin gestreckt, aus Kostengründen. Aber halb so schlimm, das Desinfektionsmittel selbst ist ohnehin nicht gegen Coronaviren geeignet, sondern wirkt antibakteriell. Kontaktflächen werden nur auf Eigeninitiative desinfiziert. Das Ergebnis: 20 Personen in Quarantäne, 5 positiv, 3 schwere Verläufe, 1 Verlauf mit massiven, bleibenden Nierenschäden. Dafür 2020 den besten Umsatz seit Jahren.

Die Chefs aus diesem Bericht wähnen sich mit ihrem Baustoffhandel in einer Grauzone. Das bedeutet anscheinend vor allem, dass sie meinen, ihre Angestellten mehr Gefahren aussetzen zu können:

Ich arbeite bei dem größten Baustoffhändler hier bei uns im Kreis. Von Anfang an wurde uns von der Geschäftsleitung erzählt, dass wir in einer “Grauzone” arbeiten würden. Masken müssten wir nicht tragen. Kunden ebenso wenig. Mittlerweile sind Masken im Alltag angekommen. Die Chefs inkl. Juniorchefs tragen sie aber weiterhin nicht. Wie man vielleicht mitbekommen hat, ist der Ansturm auf Baumärkte und Baufachmärkte im ersten Lockdown riesig gewesen. Im zweiten wurde daher der Eintritt für Privatkunden untersagt. Dies wird von der Geschäftsleitung erneut bewusst ignoriert. Privatkunden wird heimlich erzählt, dass es ja “Hintertürchen und Grauzonen” gebe. Während viele Mitarbeiter blind alles befolgen was die Chefs sagen hat man als Mitarbeiter, der sich an die Regeln halten will, keine Chance. Der Tenor lautet “Wenn der Chef das sagt muss es gemacht werden”. Während andere Menschen also um Ihre Arbeitsplätze und Zukünfte bangen, scheffeln unsere Chefs weiter Geld, weil Sie meinen “in einer Grauzone” arbeiten zu müssen.

Auch in den Supermärkten, den angeschlossenen Lagern und Lieferdiensten wird am Schutz der Angestellten gespart:

Ich arbeite in einem Bio-Supermarkt. Wir müssen die Kundschaft ohne Op-Maske/FFP2Maske des Geschäfts verweisen. Wir selber sollen aber keine FFP2 Masken tragen, da wir sonst zu häufig Pause machen müssten. Manche tragen also weiterhin Stoffmasken, wenn sie im Geschäft Regale einräumen. Im Pausenbereich und im Büro der Filialleitung sitzen weiterhin alle ohne Maske miteinander. Früh vor Arbeitsbeginn trägt fast niemand bei der Warenverräumung eine Maske. Die Abstände werden dabei auch nicht eingehalten.

Ich arbeite in einem Großlager für verschiedene Supermärkte in der Nähe von Osnabrück. Es gibt zwar offiziell Maskenpflicht, aber auch nur in den Fluren zu den Spinden und zum Aufenthaltsraum, aber daran hält sich auch nur ungefähr 2/3 der Kollegen. Im Lager selbst muss keine Maske getragen werden, angeblich weil die Deckenhöhe ausreichen würde damit die Tröpfchen sich verteilen…
Abstand wird auch nicht eingehalten, ich merke unter den Kollegen leider keinen Unterschied zu vor der Pandemie. Es wird sich die Hand gegeben, sogar teilweise umarmt. Es ist schon sehr deprimierend, wenn man sich privat versucht zu schützen und dann mit solchen Kollegen zusammenarbeiten muss.

Ich arbeite bei einer großen Supermarktkette als Lebensmittellieferant. Jeden Tag fahren wir über ein dutzend Kunden an. Firmen und Privatpersonen. Die Firmen verlangen, dass wir ihre Lebensmittel bis in die Gemeinschaftsräume bzw. – küchen bringen. Oft sitzen da bereits viel zu viele Angestellte in nicht belüfteteten, viel zu kleinen Räumen zusammen. Über 90% der Kunden tragen keine Maske, wenn ich ihnen die Lebensmittel bringe. Immer wieder werde ich von alten, oder körperlich beeinträchtigen Menschen dazu aufgefordert ihre Privaträume zu betreten, um ihnen die Lebensmittel in die Küche o.ä. zu stellen. Ich trage dabei immer Maske (FFP2), oder verweigere mich auch schon mal. Viele meiner Kollegen machen das nicht. Manche tragen gar keine Maske. Desinfektionsmittel im Auto gibt es häufig nicht. Masken werden einem lose und unverpackt ausgehändigt. Von einer Desinfektion der Fahrzeuge ganz zu schweigen. Das Lager ist so klein, dass sich die Angestellten gegenseitig auf die Füße treten. Niemand trägt dort eine Maske und es ist nicht möglich sich hier aus dem Weg zu gehen, oder den Mindestabstand einzuhalten. Der Großteil meiner Kolleg:innen ist sich der Gefahren bewusst. Statt sich zu wehren, haben sie sich stattdessen entschieden sie zu ignorieren und handeln auch aus Trotz dabei sehr risikoreich und nachlässig. Hinweise auf’s Masketragen werden weggelacht und nicht ernst genommen. Nach außen hin wirkt es, als hätte die Supermarktkette ein Hygeniekonzept und würde sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Die Realität sieht leider anders aus. Kontrollen über die Einhaltung der Vorgaben gibt es nicht. Es herrscht das Motto vor: was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Ich habe jeden Tag Angst mich anzustecken. Es grenzt an ein Wunder, dass es bisher keine mir bekannten Infektionen im Betrieb gab.

Ähnlich schlecht mit dem Arbeitsschutz sieht es bei Optikern, im Buchhandel und bei anderen Handelsunternehmen aus. Es gilt wohl: Geld verdienen ist wichtiger, als Menschen zu schützen. Dagegen könnte ein solidarischer Lockdown helfen, bei dem für einige Wochen alle nicht systemrelevante Betriebe geschlossen werden, um die Zahlen auf 0 zu drücken, wie wir als #ZeroCovid Kampagne es vorschlagen.

Ich arbeite für eine große Optikerkette. Hier gilt anscheinend ausschließlich Profit over People. Während im ersten Lockdown nur Notverkäufe zugelassen waren, darf jetzt alles verkauft werden und wird es auch (die anderen Geschäfte sind ja zu). Wir können berufsbedingt Sicherheitsabstände nicht einhalten. Unser Arbeitgeber ergreift nur die Schutzmaßnahmen, die gesetzlich vorgeschrieben sind. Außerdem haben wir mit Menschen zu tun, die es nicht verstehen, dass auch beim Anprobieren die Maske auf bleiben muss, geschweige denn mit den Leuten die sich falsche Atteste ausstellen lassen. Beim Impfen sind wir in Gruppe 3 dran, obwohl auch wir zum Gesundheitswesen gehören (daher dürfen wir ja offen bleiben). Das dies alles auch eine große psychische Belastung darstellt, wird vom Arbeitgeber komplett ignoriert.

Ich arbeite in einer Buchhandlung und bin als Azubi nicht in der Kurzarbeit, also arbeite trotzdem jede Woche Vollzeit. Jeden Tag habe ich ungewollt Kontakt mit mehreren hundert Menschen, die sich oft nicht an die Masken- oder Abstandsregeln halten, und muss sie darauf hinweisen und mir dann irgendwelche dummen Sprüche anhören. Einige fangen sogar an zu beleidigen und es kommen viele Leute, die einfach Langeweile haben oder frustriert sind und lassen es an uns aus.Es ist viel anstrengender unter diesen Bedingungen zu arbeiten und niemand versteht das. Jeden Tag darf man sich anhören, wie toll das ist, dass wir weiterhin geöffnet sind. Man hört aber kein: “Wie blöd, dass Sie Corona ausgesetzt sind hier.” Ich verstehe jeden Tag die Welt etwas weniger.

Mein Vater (Ü60 und Asthmatiker) arbeitet in einem Handelsunternehmen mit mehreren hundert Filialen deutschlandweit. Als Bereichsleiter hat er normalerweise sein Büro in der Zentrale und ist für Schulungen und Messeauftritte unterwegs, aber diese finden ja seit einem Jahr (mit Ausnahmen im Spätsommer) nicht statt. Letzten Frühling war er teilweise in Kurzarbeit und hat in einer Filiale ausgeholfen. Seit Dezember werden er und seine direkten Kollegen nun wöchentlich in unterschiedliche Filialen geschickt um dort zu unterstützen. Das heißt, dass diese 5-6 Mitarbeiter*Innen jede Woche Kontakte mit zahllosen unterschiedlichen Kolleg*innen und Kund*innen haben (müssen) und die Geschäftsleitung da überhaupt kein Problem drin sieht 😡

Wir als #ZeroCovid Kampagne sind entsetzt über diese Zustände und sehen Lockerungen im Einzelhandel sehr kritisch. Die dokumentierten Berichte zeigen eindeutig die Mängel beim Infektions- und Arbeitsschutz im Einzelhandel. Wir denken, dass es keine gute Idee ist, noch mehr Angestellte diesen Gefahren auszusetzen. Die neuen Mutationen machen diese Situation zudem noch unberechenbarer und gefährlicher. Setzt euch mit uns ein für eine solidarische Pause! Lasst uns die dritte Welle stoppen!

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