Dieser Bericht wurde von unserem Unterstützer Alex verfasst und zeigt, dass insbesondere für kleinere Betriebe – deren Beschäftigte, wie deren Inhaber:innen, die aktuelle Coronapolitik die existenziell größte Bedrohung darstellt. Wir fordern unter #ZeroCovid nicht nur eine umfassendere Pause für die Wirtschaft, sondern auch eine deutlich bessere Unterstützung von Betroffenen abhängig Beschäftigten und kleinen Selbstständigen, die derzeit vor allem mit großen Versprechungen abgespeist werden:
»Hallo, mein Name ist Alex und ich arbeite in einer Gaststätte in Köln. Zu meinen Aufgaben gehören neben Service auch die Verwaltung, Zahlungsverkehr und Lohnbuchhaltung, so dass ich sowohl die Perspektive als Arbeitnehmer, als auch die der Gastronomen selbst beleuchten möchte.Zur Arbeitnehmerperspektive lässt sich sagen, dass wir uns glücklich schätzen können, bei uns im Betrieb viel mit zu reden haben. Ansonsten wären die letzten 10 Monate wohl nervlich und finanziell kaum tragbar gewesen: Seit dem ersten Lockdown im März 2020 kommen fast alle von uns nicht auf unsere normalen Stunden und so prekär wie die Löhne nun mal in der gesamten Branche sind, ist auch der Wegfall/ die Abnahme von Trinkgeld ein großes Problem. Das hat bei uns im Normalbetrieb etwa ein Drittel des Gesamtverdienstes ausgemacht, der in Schließungszeiten einfach so wegfällt. Auch als wir zwischendurch wieder öffnen durften, war dies höchstens die Hälfte von dem, was davor reingekommen ist, da wir im Laden unsere Plätze halbieren mussten.
Niemand von uns würde sich allerdings gerade freuen, wenn wir wieder aufmachen dürften: Die derzeitigen Infektionszahlen sind derart hoch, dass es an für sich richtig ist, bis diese sinken, die Restaurants, Bars und Kneipen geschlossen zu halten, aber eben nicht nur die und den Einzelhandel!
Die geltenden Regeln haben wir zwar immer umgesetzt, jedoch war uns spätestens Anfang Oktober selbst nicht mehr wohl dabei: Masken waren für Gäste nur im stehen/beim Gang auf die Toilette vorgeschrieben, als ob das für die Verteilung von Viren in der Luft eine Rolle spielen würden, ob die Leute sitzen oder nicht. Das größte Problem für alle Beschäftigten in der Gastronomie ist aber derzeit wohl das dürftige Kurzarbeiter*innengeld: Das sind 60, 70 (nach 4 Monaten) oder 80(nach 7 Monaten) Prozent vom Nettogehalt(!). Auch der höchste Satz langt eigentlich hinten und vorne nicht, da die meisten Arbeitnehmer*innen entweder Mindestlohn oder knapp drüber verdienen, ein erheblicher Teil aus dem Trinkgeld kommt und deswegen garnicht ersetzt wird und es außerdem für Minijobber*innen gar keine Ersatzleistungen gibt. Wenn diese sich nicht irgendwie anders durchschlagen können, bleibt eigentlich nur um Kündigung zu bitten, weil man bei Kündigung durch die Arbeitnehmer*innen immer befürchten muss, dass das Jobcenter für ALGII erst einmal eine Sperre verhängt, man sei ja selbst verantwortlich. Wenn man dann auch noch, wie sehr viele, den Gastrojob zur Finanzierung des Studiums macht, muss man sich exmatrikulieren, da es für eingeschriebene Studierende kaum möglich ist, ALGII zu bekommen.
Wir haben aber auch, zum Glück, bei uns im Laden einen vollen Überblick über die Arbeitgeber*innenseite, wo es nicht besser aussieht: Durch zigmalige nachträgliche Änderungen soll jetzt die Soforthilfe aus dem ersten Lockdown zurückgezahlt werden, die vor Monaten beantragte Novemberhilfe ist noch nicht angekommen (von Dezember ganz zu schweigen) und die Auszahlung von Kurzarbeiter*innengeld dauert mindestens 3, aber auch mal 6 Wochen. Nach dem miesen Jahr 2020 sind einfach keine Rücklagen mehr vorhanden und selbst Geld verdienen dürfen wir nicht, so dass wir alle auf die pünktlichen Zahlungen angewiesen sind. Wir sind deswegen unfassbar wütend, dass sich hier nun über 2 Monate Zeit gelassen wird, Krankenkassen, Miete und Steuern pünktlich gezahlt werden muss und dann zum Vorstrecken der Löhne einfach kein Geld mehr da ist. Das viel zu niedrige Kurzarbeitergeld kommt also erst an, wenn es auf dem Konto des Betriebes eingeht, ganz so, als hätten wir irgendwelche Ersparnisse, von denen wir wochenlang überleben könnten.
Wir sind uns sicher, dass wir es mit einer Fortsetzung der jetzigen Maßnahmen nicht schaffen, das nächste Jahr zu überleben. Am Betrieb hängen aber nicht nur die Jobs und Existenzen von 18 Menschen, sondern eben auch viele Emotionen, da wir alle sehr gern hier arbeiten und für ungelernte Kräfte nur die bescheidensten Alternativen in Aussicht stehen. Besonders wütend macht es, unverschuldet in diese Lage gekommen zu sein, weil der Laden nicht besser hätte laufen können, bevor es mit Corona losging, wir uns seitdem immer an alle Regeln gehalten haben, alle Anträge frühmöglichst gestellt haben und öfters auf Löhne gewartet haben. Es ist scheiße zu wissen, dass sich auch die nächsten Monate keine Aussicht auf Besserung erkennen lässt und im verstaubten Gastraum mit Stühlen oben zu stehen, während die U-Bahnen jeden morgen brechend voll sind mit Menschen, die zur Arbeit müssen.Wir alle sehen #ZeroCovid als sozial und epidemologisch einzig vertretbaren Weg an, dieser Misere zu begegnen und haben deshalb die Initiative von Anfang an unterstützt.«
Alex
Habt ihr auch Erfahrungen aus der Arbeit, Schule oder Hochschule unter COVID-Bedingungen? Sendet sie uns unter #Schichtgeschichten zu und wir veröffentlichen sie (auf Wunsch auch anonym).