Wieder hoffen können

Beitrag von Sebastian Schuller, Unterstützer der Kampagne #ZeroCovid

Hoffnung, so meinte der Philosoph Ernst Bloch sinngemäß, kann eine ungeheure, befreiende Kraft sein. Hoffnung bedeutet Träume zu haben, Vorstellungen einer Zukunft, Ideen von dem, was noch alles möglich sein könnte, die Überzeugung, dass alles ganz anders sein könnte. Es scheint, als wäre im ununterbrochenen lockdown-Regime diese Hoffnung auf das ganz Andere erstickt. 

Unser Leben wird reduziert auf den Bereich der Arbeit, der Produktion für die Gesellschaft: Wir müssen in die Arbeit gehen, Tag für Tag, um dann in unseren vier Wänden festgesetzt zu sein. Alles, was uns zuvor irgendwie ein bisschen Erleichterungen verschaffte, das Treffen mit Freund:innen, mit den Liebsten, Feiern gehen, Reisen, alles das ist unmöglich, wird gefährlich. Dauernder Stress setzt uns zu: Eingesperrt sein, die Mehrbelastung im Vollzeitjob vielleicht noch das homeschooling der Kinder begleiten zu müssen, die engen Wohnverhältnisse, die viele von uns kennen, und das Wissen um die tödliche Seuche, die nicht enden will. So werden wir getrieben von einem Ausnahmezustand zum nächsten. Die Regierenden verhängen immer neue repressive Maßnahmen, verkünden immer neue, noch härtere Maßnahmen, von denen wir alle bereits im Vorhinein wissen, dass sie die Seuche nicht stoppen werden. 

Ich glaube, was sich in dieser (politisch und medial verordneten) Hoffnungslosigkeit zum Ausdruck bringt, ist eine Entwicklung, die es so schon lange gibt: Im neoliberalen kapitalistischen Staat wird die allgemeine Alternativlosigkeit des Bestehenden durchgesetzt. „There is no alternative“ sagte so Magret Thatcher – eine Aussage, die Angela Merkel wiederholt, wenn sie davon spricht, „marktkonforme Demokratie“ sei ohne Alternative. Die Menschen werden dem Markt angepasst, Politik wird zu einer bloßen Verwaltung von Daten, Statistiken, eine Dienstleistung, die das Funktionieren des Marktes garantieren soll. Und die Menschen? Diese werden als Nummern zur Frage einer effizienten Verwaltung. Nicht um ihr Wohlergehen und Glück ist es dem neoliberalen Staat getan, sondern darum, dass sie möglichst effizient in die Wirtschaftskreisläufe eingebunden sind.  An die Stelle der Freiheit und Hoffnung, tritt der Markt und die Arbeitspflicht. 

Wir haben so erlebt, wie Staat und Gesellschaft immer noch autoritärer und marktorientierter wurden: Nach Außen und innen betreibt der Staat eine radikale Politik der arbeitsfähigen Körper, bei der es darum geht, uns möglichst arbeitsfähig zu halten und die Kosten für alle, die nicht arbeiten können, zu kürzen, diese auszuschließen, in Heime zu stecken, und gerade noch so zu versorgen. Die Arbeit dehnt sich aus, wird zum alles beherrschenden Horizont unseres Lebens, und zum alleinigen Entscheidungskriterium der Politik. 

Diese Tendenz hat sich in den lockdowns radikalisiert: Nun dürfen wir tatsächlich nichts mehr. Nur noch arbeiten. Ja: Wir müssen, sagen uns freundliche Ökonomen, sogar in die Arbeit gehen, obwohl wir dadurch gefährdet werden uns mit Corona anzustecken. Vielleicht sterben wir an einer schrecklichen Seuche, aber Hauptsache Autos werden weiter produziert. Der Leitspruch dieser Politik, diesem extremistischen Neoliberalismus, scheint zu sein: „Zu arbeiten ist notwendig, zu leben nicht.“ Und dieses Motto setzt der Staat mit Repression in die Tat um. 

#ZeroCovid durchbricht diese gesellschaftliche Hoffnungslosigkeit. 

Die Forderungen von #ZeroCovid sind schnell erklärt: Es braucht einen gesamtgesellschaftlichen shutdown, um die Zahl der Neuansteckungen auf Null zu drücken. Die Arbeitsstätten, die nicht fürs gesellschaftliche Überleben notwendig sind, sollen einige Zeit schließen. Einkommensausfälle müssen durch Vermögensabgaben, durch die Reichen finanziert werden. Niemand darf zurückgelassen werden, Menschen in Massenunterkünften etwa müssen in menschenwürdige Wohnungen einquartiert werden. Das Patent auf den Impfstoff gegen Covid-19 muss fallen und das Gesundheitswesen wieder in kommunale oder staatliche Hand.  

Mit diesem Forderungskatalog greift #ZeroCovid gleich doppelt den herrschenden Status-quo, das Verwalten des Sterbens, an: Einerseits wird die Pflicht zur Arbeit in Frage gestellt. An die Stelle einer Pandemiebekämpfung, der es nur um den Erhalt von Arbeitskraft und wirtschaftlicher Leistung geht, setzt #ZeroCovid eine konkrete politische Idee, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Die Initiative zwingt durch ihre Intervention dazu, über eine Alternative zur gegenwärtigen Corona-Politik nachzudenken, in der es darum geht, Leben zu retten und gesellschaftliches Leben wieder zu ermöglichen, und zwar finanziert durch Vermögensabgaben der Superreichen. Diese Provokation neoliberaler Glaubenssätze (die Pflicht zu Arbeiten und die Unantastbarkeit von Reichtum) beruht auf einer Umkehrung der Perspektive: Zum neoliberalen Corona-Regime gehört die Individualisierung der Verantwortung. Jede:r einzelne ist verpflichtet sich und andere zu schützen, gesellschaftlich wird der Schutz nicht organisiert, selbst Masken werden nicht verteilt. #ZeroCovid dagegen fordert gerade eine gesellschaftliche Lösung der Pandemie, nimmt einen kollektivistischen Blickwinkel ein. Statt an die Verantwortung des Individuums zu appellieren, fordert #ZeroCovid eine gesellschaftliche Reaktion, eine allgemein-gesellschaftliche Strategie.  

Damit freilich attackiert der Aufruf die Fundamente des autoritären Neoliberalismus, wie ihn die Corona-Pandemie hervorgebracht hat. Statt den ununterbrochenen Ausnahmezustand zu feiern, Individualismus und kapitalistischen Todeskult zu verbinden, entwirft die Initiative eine Ausstiegsstrategie aus dem lockdown und macht ein Bild von Gesellschaft wieder denkbar, in dem der Menschen nicht auf seine Arbeitsfähigkeit reduziert ist und Solidarität, nicht allseitige Konkurrenz herrscht.  

Im Konkreten lässt #ZeroCovid somit wieder hoffen. Nicht weil große Worte oder gesellschaftspolitische Entwürfe gemacht werden würden, sondern da im Konkreten die Möglichkeiten eines anderen, eines solidarischen Lebens und einer am Gemeinwohl orientierten Politik aufgezeigt werden. Vermeintlich „linke“ Kritiker:innen, die nur an Worten hängen, verkennen dies, und sie verkennen die Energie, die der Aufruf freisetzt, gerade weil zehntausende Menschen diese Perspektive der Hoffnung herbeigesehnt haben, diese konkrete und fundamentale Kritik der herrschenden Hoffnungslosigkeit. 

Aus diesem Grund unterstütze ich die Initiative. Nicht weil ich glaube, dass sofort die Null der Neuansteckungen erreichbar ist, sondern weil der Weg, den sie aufzeigt, ein Weg der Hoffnung ist. Weil durch die Kampagne wieder ein Hoffen möglich geworden ist auf ein Ende des Lockdown-Regimes, auf ein Ende der Verzweiflung. Schon allein darum hat die Kampagne gewonnen, egal was noch kommt: Wir können wieder hoffen. 
In Zeiten der vermeintlichen Alternativlosigkeit des Kapitalismus ist dies keine Kleinigkeit. 
 

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